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Katholisch, säkular und immer dramatisch

„Heute geht es um die grundsätzlichen Fragen des Lebens“ – Ein Gespräch über 75 Jahre „Tagespost“ mit Chefredakteur Guido Horst
Von Martin Müller, Vatican-magazin
Herr Horst, 75 Jahre „Tagespost“. Wie hat sich die Zeitung seit ihrer Gründung verändert?
Abgesehen davon, dass sie nicht mehr das „Augsburger“ oder „Deutsche“ im Namen führt und heute als Wochenzeitung mit einer tagesaktuellen Online-Berichterstattung erscheint, eigentlich nicht. Wie bei allen Printmedien hat sich das Erscheinungsbild modernisiert, aber im Kern ist die „Tagespost“ eine Zeitung für Kultur und Gesellschaft geblieben. Der Gründungsherausgeber Johann Wilhelm Naumann nannte die Zeitung ein „Kulturinstrument“, das durch „möglichst objektive Nachrichtenübermittlung, Wahrheitsfindung und Stellungnahme zur Bildung der öffentlichen Meinung“ beiträgt. So steht es in seinem Leitartikel in der allerersten Ausgabe vom 28. August 1948. Zur Kultur gehörten für Naumann auch Politik und Wirtschaft. Die „Tagespost“ sollte Kultur nicht nur vermitteln, sondern selbst schaffen, indem sie Träger der Meinungsbildung in der demokratischen Gesellschaft ist. Das tut sie auch heute noch als Wochenzeitung „für Politik, Gesellschaft und Kultur“. Ein Kirchenblatt zu gründen, wäre für Naumann der wahre Horror gewesen.
Haben sich die Inhalte geändert?
Ja. In den Gründungsjahren der Bundesrepublik ging es in der „Tagespost“ sehr stark um eine christliche Sozialordnung, um ordnungspolitische Fragen, um die Westbindung Deutschlands, den Verlust der deutschen Ostgebiete, die Auseinandersetzung mit Kommunismus und Sozialismus im Ostblock – und natürlich, wie heute, um Kunst, Literatur und das kulturelle Leben. Heute stehen die ganz grundsätzlichen Fragen des Lebens mehr im Vordergrund.
Können Sie Beispiele nennen?
Die Familie – sie ist ein eigenes Ressort in der „Tagespost“ geworden. Die Bioethik – hierfür haben wir einen eigenen Korrespondenten. Dann die Genderfrage, der Lebensschutz, die allumfassende Digitalisierung, die Herausforderungen durch die Künstliche Intelligenz, die Klimapolitik. In der Auslandsberichterstattung ist die Diskriminierung und Verfolgung der Christen in der Welt ein ganz großes Thema geworden. Dann haben wir einen Krieg in Europa, in den leider christliche Kirchenführer, das Patriarchat der russischen Orthodoxie in Moskau, auf verhängnisvolle Weise verwickelt sind. In all diesen Fragen greifen wir eigene Themen auf und lassen Experten zu Wort kommen, auch solche, die der Mainstream nicht bringt oder nicht hören will.
Können Sie auch da ein Beispiel nennen?
Der Transgender-Hype unter Jugendlichen etwa. Oder die Sexualerziehung von Kindern in Kindergärten und Schulen. Diese Themen haben wir mehrfach zu einem „Thema der Woche“ gemacht und Fachleute zu Wort kommen lassen, die nicht einfach nachbeten, was der Mainstream gut und toll findet, nur weil es die LGBT-Lobby so haben will.
„Die Tagespost“ ist eine katholische Zeitung. Wenn von katholischer Kirche die Rede ist, fallen vielen Kindesmissbrauch, hohe Austrittszahlen sowie Frauenfeindlichkeit und Reformunfähigkeit ein.
Wenn die katholische Kirche nur daraus bestehen würde, wäre sie längst schon kaputt und nie 2.000 Jahre alt geworden. Sie ist aber mehr: Sie ist die größte Religionsgemeinschaft der Welt und wächst Jahr für Jahr unvermindert. Sie scheint einen inneren Beistand zu haben, der ihr hilft, alle Krisen zu überwinden. Die Fälle von Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Kleriker und kirchliches Personal sind wie ein Krebsgeschwür im Leib der Kirche, das herausoperiert werden muss. Darüber berichten wir. Die Kirche ist nicht frauenfeindlich. Die dem Mann vorbehaltene Weihe ist Vermächtnis Jesu und Tradition der Apostel, das hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun. Ganz im Gegenteil: So wie die Mutter Jesu bei den Aposteln so waren und sind es vor allem Frauen, um die herum das Leben in christlichen Familien, in den Gemeinden oder kirchlichen Gruppen kreist. Und die zweitausendjährige Kirchengeschichte ist eine Geschichte von steten Reformen. Sie füllt ganze Bücherregale. Also: Das alles ist ein Riesenstoff, spannend, mal schön, mal weniger schön, aber immer dramatisch, der geradezu danach ruft, auch journalistisch angepackt und aufbereitet zu werden.
Aber es ist doch ein klarer Trend zu sehen, dass katholischer Journalismus immer weniger Leute interessiert…
Das ist ein Missverständnis: Es gibt im Grunde keinen „katholischen Journalismus“. Wie unser Gründungsherausgeber Johann Wilhelm Nauman in seinem ersten Leitartikel schrieb: Eine „katholische Presse“ sei genauso unmöglich wie „von einer katholischen Wissenschaft oder von katholischem Brot zu sprechen.“ Es gibt gutes und schlechtes Brot, aber kein katholisches. So gibt es auch keinen katholischen Journalismus, sondern nur guten oder schlechten. Aber man sollte offen sagen, von welchem Standpunkt aus man seinen Journalismus betreibt. „Die Tagespost“ ist ein säkulares Medium, eine Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, die mit einem katholischen Selbstverständnis über die Dinge informiert, die für eine christlich orientierte Leserschaft von Bedeutung sind. Das ist wie mit einer katholischen Schule oder einem katholischen Krankenhaus. Der Träger ist einem katholischen Geist verpflichtet. Aber die gelehrte Mathematik soll bitte die richtige und die angewandte Medizin eine nach dem letzten Stand der Forschung sein.
Viele sehen aber in der „Tagespost“ das Sprachrohr konservativer Kritiker von innerkirchlichen Reformprozessen wie etwa dem Synodalen Weg in Deutschland. Manche sehen Sie auf einem „rechtskatholischen Kurs“. Wo bleibt da die Objektivität Ihrer Wochenzeitung?
In der Frage steckt ein ganzes Sammelsurium an Behauptungen. Zunächst würde ich mal bestreiten, dass der Synodale Weg ein Reformprozess ist. Statt eine Glaubenserneuerung zur Überwindung der Missbrauchskrise vorzuschlagen, drehen die Protagonisten dieses Wegs das Rad der Geschichte zurück und wiederholen Forderungen, die schon auf der Würzburger Synode in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu hören waren. Einer der ersten Kritiker des Synodalen Wegs war Papst Franziskus, der in seinem Brief an das „Gottesvolk in Deutschland“ von 2019 darum gebeten hat, anstelle von Strukturfragen die Evangelisierung in den Mittelpunkt der Reform zu stellen. Der Synodale Weg ist nicht reformorientiert, sondern typisch deutsch. Und die „Tagespost“ ist nicht rechtskatholisch, sondern weltkirchlich orientiert. So haben wir über kritische Kirchenstimmen aus dem Ausland und die Stellungnahmen der zuständigen Leiter der vatikanischen Dikasterien im Rom, etwa beim jüngsten „Ad limina“-Besuch der deutschen Bischöfe im Vatikan, ausführlich berichtet. Allerdings mussten wir in unserer Kommentierung Farbe bekennen: Wir haben immer den weltkirchlichen Standpunkt betont. Das gehört seit 75 Jahren zum Markenzeichen unserer Zeitung, die nicht beansprucht, neben dem römischen noch ein deutsches oder zweites „mediales Lehramt“ auszuüben.
Wie sehen Sie die Zukunft der „Tagespost“? Wird sie sich am Markt behaupten können?
Wenn sie guten Journalismus bietet, ja. Die Zeitung gewinnt viele ihrer neuen Abonnenten über das Internet. Gute Artikel der Zeitung – im Printprodukt wie online – landen bei Google ganz oben. Wer online unterwegs ist, stößt bei der Suche auf diese Artikel, landet auf der Homepage der „Tagespost“, wird neugierig, bestellt ein Probeexemplar und viele werden so zu Abonnenten. Es hängt eben alles an diesen guten Artikeln, an exklusiven Meldungen und gut recherchierten Analysen. Wenn die „Tagespost“ weiterhin Qualitätsjournalismus liefert, mache ich mir keine Sorgen. Wenn sie journalistisch schlechte Ware produziert, stürzt sie ab.