
Europa im Sinkflug
Mythen der Migrationspolitik
Die Willkommenskultur des Jahres 2015 ist verweht. Heute fragt sich ganz Europa, wie es die Mauern dicker und den Burggraben breiter machen kann
von Stephan Baier
Einen kühlen Kopf und ein heißes Herz sollten Politiker haben, meinte einst der bedeutendste deutsche Kanzler, Konrad Adenauer. Das Gegenteil davon – in ihrer Empathiefähigkeit erkaltete Hitzköpfe – beherrscht heute die politische Landschaft: Jenseits von Links-rechts-Kategorien setzen Politiker auf Ängste und Emotionen, produzieren „fake news“, geben sich verhaltensauffällig rücksichtslos, pflegen Mythen. Nicht nur in Washington, auch in Europa scheinen manchem die klaren Feindbilder zu fehlen: Also führen und gewinnen Populisten Wahlkämpfe gegen „die in Brüssel“, gegen die Europa angeblich überschwemmenden Migranten, gegen die zur Diktatorin Europas stilisierte Kanzlerin Angela Merkel. Genüsslich propagieren Politiker jener Länder, die riesige Summen aus Brüssel beziehen, den Untergang der Europäischen Union, orakeln über ein Zerbrechen der Union, die sie als Neuauflage der Sowjetunion diffamieren.