
Literatur mit Geist und Seele
Die Wahrheit als Kapital
Gläubiger Moralist: Alexander Solschenizyn
von Stefan Meetschen
Manchmal ähneln die Popularitätswerte von Schriftstellern den Aktienkursen: Sie steigen und fallen, stagnieren und schnellen wieder empor – unabhängig davon, was ihr wirklicher Wert sein mag. Solche extremen Schwankungen verbindet man mit dem russischen Schriftsteller Alexander Solschenizyn: 1970 wurde er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, dann verlor er seine sowjetische Staatsbürgerschaft und wurde 1974 ausgewiesen. Fotos, die Solschenizyn mit Heinrich Böll, bei dem er kurzfristig Unterkunft fand, zeigen, gingen um die Welt. Es folgte eine Zeit in der Schweiz und ein langjähriger Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. Doch anstatt im Westen eine Karriere als anschmiegsames Menschenrechtsmaskottchen zu machen, verharrte der studierte Mathematiker in trotziger Distanz zu den ideologischen Fleischtöpfen des Kapitalismus. Vor Harvard-Studenten bemängelte Solschenizyn 1978 in seiner berühmten Rede die Gottlosigkeit des Westens. Er verstand sich als traditionsbewusster, orthodoxer Russe – unabhängig und frei. Fähig, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können.